Von "Autismus-Bullshit und Flotz"
Rückblick auf einen außergewöhnlichen Kunst- und Literaturabend, der am 4. April mit rund 60 Gästen im StadtGalerie Café stattfand.
Von "Autismus-Bullshit und Flotz"
Anlässlich des Welt-Autismustags (2. April) bot die HHO im Rahmen ihrer Autismus-Aktionswochen verschiedene Angebote, um mehr über das Thema zu erfahren. Eines davon war ein Kunst- und Literaturabend, der am 4. April im Osnabrücker StadtGalerie Café stattfand. Die rund 60 Gäste durften den Künstler Daniel Okorn sowie den Referenten und Autor Aleksander Knauerhase kennenlernen. Beide sind Autisten und gaben einen besonderen Einblick in ihre ganz individuelle Welt.
Auftakt mit Kunst-Dialog
Den Anfang machten der Künstler und Autist Daniel Okorn gemeinsam mit Christoph P. Seidel, der den KunstContainer der HHO leitet. Dies ist ein offenes KunstAtelier, in dem jede Woche rund 60 Menschen mit einer Beeinträchtigung zusammenkommen, um ihre Kreativität selbstbestimmt auszuleben. Vielfältige externe Kooperationen, zum Beispiel mit Projekten im Kloster Malgarten, der Volkshochschule Osnabrück oder auch auf der internationalen Messe für Outsider Art im Kunsthaus Kannen in Münster, zeigen, wie erfolgreich und besonders dieses Instrument kultureller Bildung ist – nicht nur für Menschen mit einer Behinderung.
Daniel Okorn kam vor rund 10 Jahren zum KunstContainer, wie Christoph Seidel an dem Abend im StadtGalerie Café eindrucksvoll berichtete:
„Er nahm ein Blatt Papier und begann zu zeichnen. Als das Blatt voll war, drehte er es um und malte weiter. Es war, als ob er versucht hätte, die ganze Welt, die sich in seinem Kopf abspielt, auf ein Blatt Papier zu bringen. So ist es mit all seinen Kunstwerken. Dabei arbeitet er so sicher und souverän, als hätte er nie etwas anderes getan.“
Dabei war dieser Tag vor 10 Jahren das erste Mal, dass Daniel Okorn einen Zeichenstift in die Hand nahm. Aufgehört hat er nicht – beinahe täglich ist er im HHO-KunstContainer zu finden. Viele seiner Kunstwerke waren schon auf verschiedenen Ausstellungen zu sehen.
(K)eine klassische Lesung
Den zweiten Teil des Kunst- und Literaturabends füllte Aleksander Knauerhase mit seinem dynamischen interaktiven Austausch mit den Gästen.
„Ich komme gerne mit den Menschen in Dialog und lasse mich überraschen, welche Themen angesprochen werden. Dazu lese ich dann passende Texte aus meinem Buch „Autismus mal anders“ vor.“
Diese ungewöhnliche Form einer Lesung hat den ein oder anderen Gast sichtlich überrascht. So meldet sich ein Mann aus dem Publikum:
„Man merkt ja überhaupt nicht, dass Sie ein Autist sind. Sie können sich viel zu gut ausdrücken und vor einem Publikum agieren.“
Das läge daran, dass er sehr gut maskiere, weil er nicht wolle, dass jeder merkt, dass er ein Autist ist, erklärte Aleksander Knauerhase. Maskieren oder auch „Masking“ bezeichnet man das Kopieren des Verhaltens nicht autistischer Menschen. Das tun viele autistische Menschen, um weniger aufzufallen und besser gesellschaftlich teilhaben zu können. Masking ist oftmals ein enormer Kraftakt, der viel Stress bedeuten kann.
„Nach Veranstaltungen wie der heutigen Lesung mit An- und Abreise per Zug, brauche ich eine Woche und manchmal auch länger, um mich von den vielen Eindrücken und dem anstrengenden Maskieren zu erholen.“, berichtete Knauerhase von seinen persönlichen Herausforderungen. Auch beschrieb er offen und anschaulich seine dunklen Seiten im Leben.
„Haarscharf am Nerd vorbeigeschossen und noch so eben im Spektrum gelandet – so nehmen mich wohl viele Menschen auf den ersten Blick wahr. Aber nichts ist so, wie es zuerst erscheint. Denn auch ich erlebe häufig schwierige Momente. Momente, in denen ich unfähig bin, mit anderen Menschen zu interagieren. Momente, in denen ich hilflos bin und ich mir einfach nur wünsche, dass es jemanden gibt, der einen Krankenwagen für mich ruft. Zum Glück sind diese dunklen Momente seltener geworden, da ich meine Bedürfnisse gut kenne und gelernt habe, meine Grenzen zu wahren sowie gewisse Anzeichen frühzeitig zu deuten und passend zu reagieren.“
Aleksander Knauerhase erhielt die Diagnose „Autismus“ mit 35 Jahren. Seitdem beschäftigt er sich intensiv mit der autistischen Wahrnehmung und leistet als Referent Aufklärungsarbeit und versucht, ein besseres Bewusstsein für die Bedürfnisse von Menschen mit Autismus zu schaffen.
„Was in den Medien über uns so berichtet wird, bezeichne ich schlichtweg als Autismus-Bullshit. Viel zu oft wird nur über uns, aber nicht mit uns gesprochen. Aber dadurch werden wir einfach unsichtbar gemacht. Deshalb freuen mich solche Veranstaltungen wie der heutige Abend sehr. Denn hier kommen endlich mal wir Autisten zu Wort.“, zieht Aleksander Knauerhase Resümee.
„Mit unseren Autismus-Aktionswochen wollten wir mit den verschiedenen Gesichtern und persönlichen Geschichten einen Einblick in die Breite des Spektrums geben. Jeder Autist ist eine individuelle Persönlichkeit mit ganz eigenen Ausprägungen. Deshalb war es uns insbesondere auch für diesen Abend so wichtig, mit Daniel Okorn und Aleksander Knauerhase zwei so völlig unterschiedliche Menschen vorzustellen.“, fasst Ann-Kathrin Tebbe, Leiterin des Autismus Therapiezentrums der HHO die Überlegungen des Projekt-Teams zusammen. Dass das geglückt ist, zeigt auch dieses Zitat einer Besucherin des Autismus-Abends: „Dank der anschaulichen Ausführungen von Aleksander Knauerhase habe ich meine eigene autistische Tochter heute noch einmal ganz neu kennengelernt.“
Ein kleiner Rückblick...
Danksagung
Überhaupt möglich gemacht haben diesen Abend die Spenden von:
- Regionalverband Autismus Osnabrück e.V. www.autismus-osnabrueck.de
- Reiner Kunoth und Michael Simiela als BluesBrothersGermany
Herzlichen Dank für Ihre finanzielle Unterstützung und Ihr Engagement. Nur dank Ihnen konnten wir die Autimus-Aktionswochen sowie diesen außergewöhnlichen Kunst- und Literaturabend realisieren.